Zeitzeugen im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern

Überlebende des Holocaust zu Gast an der Tännichtschule

Die Meeraner Tännichtschule beteiligt sich seit dem Jahr 2008 am Projekt „Zeitzeugen begegnen Schülerinnen und Schülern“, welches vom Maximilian-Kolbe-Werk getragen wird. Ziel des Zeitzeugen-Projektes ist die Begegnung von Zeitzeugen, Überlebenden des Holocaust, mit Jugendlichen. Menschen, die unter der Verfolgung durch die Nationalsozialisten unsäglich gelitten haben, geben ihre Erfahrungen an junge Menschen weiter. Das Maximilian-Kolbe-Werk lädt dazu jährlich KZ- und Ghetto-Überlebende nach Deutschland ein, um in qualifizierten Schulprojekten das Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern zu führen.
Im Juni 2018 wurden im Rahmen dieses Projektes Frau Henrietta Kretz und Frau Alodia Witaszek-Napierala an der Meeraner Tännichtschule begrüßt, gemeinsam mit Frau Monika Müller und Frau Anna Nöhn vom Maximilian-Kolbe-Werk. Sie sprachen hier mit Schülerinnen und Schülern der Klassen 9a und 9b.

Im Anschluss gab es ein Treffen mit dem Meeraner Bürgermeister Professor Dr. Lothar Ungerer im Neuen Rathaus, bei dem sich die Gäste auch in das Goldene Buch der Stadt Meerane eintrugen. Mit dabei auch Lehrerin Antje Ungerer, die in der Tännichtschule das Zeitzeugen-Projekt begleitet.
Der Bürgermeister freute sich, die Gäste zu begrüßen, insbesondere Henrietta Kretz, die zum wiederholten Male in Meerane war. Sie besuchte im Rahmen des Zeitzeugen-Programmes bereits im Jahr 2008 die Tännichtschule, vier Jahre später wurde sie als Zeitzeugin im „Meeraner Gespräch“ begrüßt.
„Wir freuen uns sehr, dass Sie wieder in unserer Stadt sind“, sagte er und berichtete von den Bemühungen der Stadt Meerane, die Erinnerung an die jüdische Bevölkerung und ihr Schicksal wachzuhalten. Mehrere Stolpersteine erinnern inzwischen als sichtbarer Ausdruck des Gedenkens an jüdische Meeraner Bürgerinnen und Bürger. Mit Stolpersteinen, so informierte Professor Dr. Ungerer, soll künftig auch Euthanasie-Opfern aus Meerane gedacht werden.

Henrietta Kretz wurde 1934 in Lemberg geboren und verbrachte ihre frühe Kindheit in Ivaniska in der Nähe von Kielce (Mittelpolen). Als die Deutschen 1939 in Polen einmarschierten, floh die Familie nach Lemberg, das damals zur Sowjetunion gehörte. Dort bekam der Vater eine Stelle als Direktor eines Kindersanatoriums in Sambor in der Nähe von Lemberg. Mit dem Einmarsch der Deutschen 1941 in die damals sowjetischen Gebiete begann für die jüdische Familie der Kampf um das Überleben. Zunächst kamen sie in das Ghetto von Sambor. Der Vater konnte das 6 1/2 jährige Mädchen bei einer Familie verstecken. Das Versteck wurde jedoch verraten, Henrietta kam in ein Gefängnis und sollte nach Auschwitz deportiert werden. Dem Vater gelang der Freikauf, und Henrietta kam wieder ins Ghetto zu ihren Eltern. Nachdem ein weiteres Versteck der Familie verraten wurde und ihre Eltern sich weigerten, ins Gefängnis zu gehen, wurden sie vor den Augen ihrer Tochter erschossen. Henrietta konnte weglaufen und gelang auf Umwegen in ein katholisches Waisenhaus, in dem sie von den Sowjetsoldaten befreit wurde. Sie blieb dort, bis wie durch ein Wunder der einzige Überlebende der großen Familie, ein Onkel, sie fand und mit ihr nach Antwerpen ging. Sie wurde Lehrerin, ging für 13 Jahre nach Israel und heiratete einen russischen Juden. Heute lebt sie wieder in Antwerpen.

Alodia Witaszek ist gerade fünf Jahre alt, als ihr Vater, angesehener Arzt und Wissenschaftler an der Posener Universität, als Widerstandskämpfer von den Nationalsozialisten hingerichtet wird. Ihre Mutter wird verhaftet. Die blonde und blauäugige Alodia gilt als „rassenützlich“. Sie wird von ihren vier Geschwistern getrennt und kommt in ein „Lebensborn”-Heim in Westpommern. Dort erhält sie den Namen Alice Wittke. Als „Geschenk des Führers“ wird sie einer deutschen Familie zur Adoption übergeben. Sie heißt nun Alice Luise Dahl und geht ab Herbst 1944 zur Schule.

Ihre leibliche Mutter überlebt die Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück und sucht nach Kriegsende zwei Jahre lang nach ihrem verschleppten Kind. Kurz vor Weihnachten 1947 hat sie Erfolg: Alodia kehrt in ihre fast vergessene Familie zurück und muss ihre Muttersprache neu lernen. Den Kontakt zu ihrer deutschen Familie gibt sie nie auf. Bis heute ist sie ein „Kind mit zwei Müttern”. Alodia Witaszek-Napierala (78) lebt heute in Bydgoszcz/Polen.

Die Zeitzeugen Henrietta Kretz und Alodia Witaszek-Napierala besuchten gemeinsam mit Monika Müller und Anna Nöhn vom Maximilian-Kolbe-Werk sowie Antje Ungerer, Lehrerin der Tännichtschule, das Neue Rathaus, wo sie von Bürgermeister Professor Dr. Lothar Ungerer herzlich begrüßt wurden.

Die Gäste trugen sich beim Besuch im Neuen Rathaus in das Goldene Buch der Stadt Meerane ein.